Willkommen zurück im Managerzoo – einem Bereich, in dem wir uns mit all den erstaunlichen Tierenbefassen, welche die Realität eines Projekt- und Change-Managers bevölkern. Die meisten von ihnen haben nie die Erde betreten. Deshalb ist es um so wichtiger, einen Lebensraum für sie zu schaffen. Und wo sonst als in diesem gemütlichen Blog? Zum Giraphanten, unserem ersten Schützling, kommt heute ein unpaarhufiger Artgenosse. Also, ohne weitere Umschweife – begrüße herzlich das Projektpferd, dessen Stunde genau im November schlägt!
Wichtiger Hinweis: Ein Projektpferd ist nicht mit einem Unternehmenspferd, einem Toten Pferd, einer Heiligen Kuh oder einem Versuchskaninchen zu verwechseln. Diese sind eindeutig andere Tiere. Damit Du das Projektpferd von anderen Tieren unterscheiden kannst, werden hier seine nicht zu verwechselnden Erkennungsmerkmale aufgelistet.
Physische Merkmale: Innerhalb dieser nicht so seltenen Spezies ist jedes Tierindividuum so einzigartig wie eine Schneeflocke. Es gibt nie zwei gleiche davon. Einige sehen mehr oder weniger genau wie echte Pferde aus. Den anderen fehlt möglicherweise ein Gliedmaß oder sogar der Kopf. Manchmal ist der Schweif das einzige Erkennungsmerkmal, woran Du siehst, dass es sich hier um ein Pferd handelt.
Erhaltungsstatus: Die Population ist insgesamt stabil. Es gibt jedoch eine hohe Volatilität im Laufe eines Kalenderjahres. Zu Beginn des Jahres, wenn die meisten Projekte starten, trifft man nur ein paar bewährte Tierindividuen, die wie der Geist von Hamlets Vater im Schatten lauern, irgendwo in einer staubigen Ecke im ewigen Winterschlaf liegen oder als ein immer noch gerittenes Totes Pferd unterwegs sind. Im Laufe des Jahres gibt es eine spektakuläre Entwicklung: Je weiter das Jahr voranschreitet, desto mehr Projektpferde kommen zum Vorschein. August ist normalerweise der Monat, in dem man einen einmaligen steilen Anstieg der Population von Projektpferden beobachten kann. In diesem Monat stellen Teams und Projektmanager plötzlich fest, dass "es doch dieses eine sehr wichtige Projekt gibt, das wir unbedingt in diesem Jahrabschließen wollten". Und so steigt die Projektpferdenanzahl stetig in den Folgemonaten, zwischenSeptember bis November. Dabei sind die Erscheinungsformen der einzelnen Tiere nichts für schwache Gemüter. Im Dezember passiert nichts, weil dieser Monat eigentlich nicht existiert.
Lebensraum: Es gibt einige klimatische Konstellationen und organisatorische Dimensionen, die für die Zucht von Projektpferden vorteilhaft sind. Unausgewogene und schlecht diversifizierte Teams, in denen es viele inspirierende Visionäre gibt, die leicht Ideen generieren, jedoch genauso leicht von neuen glänzenden Dingen abgelenkt werden können, bieten die perfekten Voraussetzungen für eine rasante Entstehung von ganzen Herden von Projektpferden. Ein Mangel an Abstimmung zwischen der Vision und den taktischen und strategischen Roadmaps lässt viel Raum und Rechtfertigung für den Beginn eines weiteren kleinen Projekts, das sich in ein Projektpferd verwandeln kann, sobald die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema gelenkt wird – manchmal mehr und manchmal weniger im Einklang mit der Vision der Organisation oder dem großen Bild.
Konzeption: Wie hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau steht, und hinter jeder erfolgreichen Frau mindestens fünf starke Männer stehen, die versuchen sie zurückzuhalten, gibt es hinter jedem Projektpferd einen großen organisatorischen Denker, der die Idee einpflanzt. In diesem Moment ist es noch unmöglich zu sagen, ob die Idee sich in ein erfolgreiches Projekt oder in ein Projektpferd verwandeln wird.
Wissenswertes: Einige Projektpferde werden initiiert, um nie fertiggestellt zu werden und sollten besser als Versuchskaninchen kategorisiert werden. Und nur zu einem bestimmten Zeitpunkt und nur im Falle einer unglücklichen Projektentwicklung kann nur ein geschultes Auge den Unterschied zwischen ihnen erkennen. Leider sind die Versuchskaninchen sowie ihre Schöpfer einer ungerechtfertigten Kritik ausgeliefert.
Pränatale Entwicklung: Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten in der pränatalen Phase, die das Projekt auf den deterministischen Pfad eines Projektpferdes bringen können. Manchmal handelt es sich um versteckte oder übersehene Fehler, manchmal um eine falsche Grundannahme, manchmal aber um mangelnde Sorgfalt und Tools, das Team und die Stakeholder über die wahre Entwicklung auf dem Laufenden zu halten. Dies führtmeistens dazu, dass Meilensteine nicht ernst genommen werden und das Projekt sich zu einem Projektpferd entwickelt.
Überlebensrate der Jungtiere: Aufgrund der Allgegenwart des Effektes der versenkten Kosten ist die Überlebensrate von Projektpferden sehr hoch.
Ernährung: In seiner Kindheit ernährt sich das Projektpferd von menschlichen Schwächen und sogar einigen der sieben Todsünden: Stolz, Gier, Neid, aber vor allem Faulheit.
Zukünftige Entwicklung: Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie sich ein Projektpferd entwickeln kann. Einige betreten wie Phönixe den Kreis des Samsara und werden jedes Mal wiedergeboren, wenn ein neuer Projektmanager an Bord kommt ("diesmal werden wir es richtig machen!"). Einige hüpfen weiterhin auf eine unbeholfene, aber liebenswerte Weise herum und werden zum Firmenliebling ("ja, es ist ein Bastard, aber es ist unser Bastard!"). Einige verwandeln sich in den nächsten Angehörigen – ein Totes Pferd. Und einige, wie oben erwähnt, lauern in den dunklen Treppenhäusern von Organisationsgebäuden, indem sie zu einem Teil der Unternehmensfolklore werden, und dienen als eine düstere und feierliche Erinnerung – memento equum! – an angehende Projektmanager.