Automatisierungssucht – und wie wir über den Ackerbau dazu kamen

Posted by Verarius
13-04-2023

Willkommen zum Teil 2 der kurzen Artikelserie über Veränderungen und Widerstand gegen Veränderungen. In diesem Beitrag "Automatisierungssucht – und wie wir über den Ackerbau dazu kamen" werden wir darüber sprechen, warum wir einen so ausgeprägten Drang haben, Dinge zu automatisieren, was dieser Drang mit dem Gesetz des geringsten Widerstands zu tun hat und warum das Brechen einer Gewohnheit einem Entzug ähnelt.

Ewiger Tango: Veränderung und Widerstand gegen Veränderung II

Automatisierungssucht – und wie wir über den Ackerbau dazu kamen

Nachdem wir im ersten Teil einige Zeit damit verbracht haben, die Wurzeln der Risikoaversion in den sumpfigen Wäldern der vorbiblischen Zeit zu suchen, lasst uns nun einen Sprung in die jüngste Vergangenheit wagen, die gerade einmal 10.000 Jahre (oder 400 Generationen) zurückliegt. Diese Ära bietet einen sehr fruchtbaren Boden für unsere weitere Diskussion. Denn zu dieser Zeit begann der Ackerbau. Und dies gibt uns die Möglichkeit, eine andere Komponente des Widerstands gegen Veränderungen zu betrachten: das Prinzipdes geringsten Widerstands. Aufgrund ähnlicher geografischer Bedingungen war es für die Landwirtschaft einfacher, sich auf den ost-westlich ausgerichteten europäischen und asiatischen Kontinenten auszubreiten als auf dem amerikanischen und afrikanischen Kontinent. Und somit blühte der Weizen in Europa und Asien – auch wortwörtlich. Das bescherte der Entwicklung in Europa und Asien einen erheblichen Schub.

Wie Jared Diamond in seinem mit Pulitzer-Preis ausgezeichneten Buch „Arm und Reich – Die Schicksale menschlicher Gesellschaften en Detail betont, spielte das Prinzip des geringsten Widerstands die entscheidende Rolle für die weitere sozioökonomische Entwicklung ganzer Kontinente. Dieses Prinzip prägte weitgehend die Unterschiede zwischen den Gesellschaften, die auch heute noch sehr präsent sind. Und das ist die Quintessenz vom Prinzip des geringsten Widerstands: Wenn wir vor die Wahl gestellt werden, entscheiden wir uns für einen einfacheren Weg. Wir ergreifen eifrig die Gelegenheit Energie zu sparen, und genau das verschafft uns letztendlich einen Vorteil. Das ist also kein Defekt, sondern unser Markenzeichen: Der sparsame Umgang mit Energie zahlt sich aus und trägt zum langfristigen Fortschritt bei. Und ob man es will oder nicht, tragen Menschen diese Eigenschaft immer noch in uns. Wenn wir diese Idee ad absurdum führen, ergibt folgendes: der sparsamste Umgang mit der Energie stellt die Abwesenheit des Handels dar. Denn in diesem Moment ist der Widerstand gleich Null. Somit, überspitzt gesagt, wäre still bleiben gut und jegliche Handlung – schlecht, was Blaise Pascal folgendermaßen zum Ausdruck gebracht hat: "alle Probleme der Menschheit von der Unfähigkeit des Menschen herrühren, allein in einem Raum still zu sitzen. Dieser heilige Gral mag für die meisten von uns ein unerreichbares Ideal sein, so dass wir uns mit dem Zweitbesten zufrieden geben: mit der Automatisierung.

Um möglichst energieeffizient zu werden, automatisieren wir unbewusst und auf die natürliche Art und Weise alles, was sich automatisieren lässt: angefangen beim Atmen und Blinzeln über das Lesen bis hin zur Ausführung einer komplizierten Abfolge akrobatischer Kunststücke für die nächste Meisterschaft. Wir folgen der Routine, wo immer es möglich ist, dabei ist unser ultimatives Ziel der Autopilot. Das Verlassen dieses Modus ist nicht nur energieaufwändiger, sondern erhöht auch die Fehlerwahrscheinlichkeit. Und Fehler erfordern Nacharbeit, was uns noch mehr Energie kostet. Daher versuchen wir in unserem Berufs- und Alltagsleben bewusst und unbewusst ständig, die Schritte unserer Routinen und regelmäßig ausgeführten Aufgaben zu optimieren: das Erlernen der ersten Fremdsprache mageine Herausforderung sein, aber wenn man mit der dritten oder fünften Sprache anfängt, hat man bereits alle mögliche Lernstrategien und Eselsbrücken parat. Und vor allem sind die Nervenbahnen richtig verdrahtet und das Gehirn "weiß", was zu tun ist. Das ist auch der Grund, warum jeder, der schon einmal versucht hat, eine Gewohnheit zu ändern, weiß, wie schwierig und schmerzhaft das ist, und zwar auf so vielen Ebenen! Was auch immer man seit Monaten oder Jahren unbewusst und mühelos getan hat, erfordert nun eine bewusste Anstrengung, um NICHT gemacht zu werden. Nicht umsonst heißt es "Macht der Gewohnheit", denn sie lässt sich spüren, sobald man es versucht, gegen den Strom von Autopiloten zu schwimmen. Kürzlich nach einem Umzug geben Menschen immer wieder ihre alte Adresse in offiziellen Dokumenten an oder fahren nach einem stressigen Arbeitstag sogar automatisch dorthin. Auch die zufällige Verwendung des Mädchennamens Jahre nach der Hochzeit kommt vor (obwohl die Freudianer unter uns schreien würden: "Das ist wohl kein Zufall"). Und die Gewohnheit, erst nach dem Lesen von genau drei Seiten einschlafen zu können, kann zu einem wahrhaften Albtraum werden (Wortspiel beabsichtigt).

Neben der Tatsache, wie energieintensiv die Umgewöhnung und die Verhaltensänderung sind, gibt es noch einen weiteren wichtigen Punkt. Sobald du aus deiner Routine brichst oder dich entschließt, eine Gewohnheit zu ändern, wird es dir schnell unwohl, als ob etwas "fehlen" würde. Und dieses Gefühl ist richtig. Was fehlt, ist die chemische Belohnung, ein kleiner Dopamin-Schuss, den dein Junkie-Gehirn für die Ausführung einerroutinemäßigen Aufgabe nicht mehr bekommt. Du bist also nicht nur verwirrt und aus der Bahn geworfen mitall den Anpassungen und Umschulungen, sondern machst einen echten Entzug durch.

Verwandte Blogs

Posted by Verarius | 02.02.2024
In den letzten Wochen habe ich einige führende IT-Fachleute denselben Satz sagen hören: "Es ist kein IT-Problem!". Manchmal mit Amüsement ausgesprochen, manchmal mit Erstaunen und Empörung, manchmal in Verzweiflung und manchmal in schierem Unglauben, dass im Jahr 2024 diese Verwirrung immer noch besteht. Ich habe beschlossen, die häufigsten Möchtegern -IT-Probleme zu sammeln, denen auf den Grund zu gehen und zu überlegen, was wir dagegen tun können....
Weiter lesen
Posted by Verarius | 13.10.2023
Heute werden wir über Kostenexplosion sprechen – und dabei unseren Fokus vom Exponentiellen aufs Existenzielle verlagern. Schauen wir uns einige Eigenschaften der menschlichen Natur genauer an, die oft genau der Grund für drastische Kostenentwicklungen sind? Zwei bezaubernde Damen, Mrs. Scarlet O'Hara und Madame de Pompadour, werden uns dabei unterstützen, während der große Meister des Suspense, Sir Alfred Joseph Hitchcock, die allgemeine Atmosphäre inspirieren wird....
Weiter lesen
Posted by Verarius | 21.07.2023
In unserem heutigen Beitrag werden wir einige Dimensionen und Universen erkunden – wir werden die Welt von Douglas Adams und die ach-so-bequeme Couch der ikonischen TV-Serie Friends besuchen, wir werden Søren Kierkegaard und Nassim Taleb Tribut zollen, und wir werden sehen, was eine MS Excel-Tabelle mit kinematischen Experimenten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts gemeinsam hat....
Weiter lesen