Heute möchte ich etwas wirklich Schönes teilen: eine echte Fallstudie über herausragendes Change Management in einer extremen Situation. Für diese Erfahrung lade ich dich sehr gerne in ein Berliner Theater ein. Noch besser: Du erhältst einen Blick hinter die Kulissen, wo eine kleine Theatertruppe eine Produktion aus dem Nichts erschafft und das sogar in neun Sprachen...
In den letzten Monaten hatten die Verarius GmbH als Organisation und ich als Person das Privileg, die Produktion von "The Red Folder" zu unterstützen. Dabei handelt es sich um ein Theaterstück, das von Urban Theater, einer Truppe von Künstlern, welche seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine im Jahr 2022 aus ihren Ländern fliehen mussten, auf die Bühne gebracht wurde. Das Stück wurde am 16. und 17. Mai in Berlin uraufgeführt. Beide Aufführungen waren ausverkauft. Wer schon einmal versucht hat, eine Veranstaltung in Berlin zu organisieren, weiß, wie schwer es ist, den Saal voll zu bekommen (es sei denn, Lars Eidinger ist Dein Hauptdarsteller, dann kann man die vorherige Bemerkung einfach ignorieren). Doch eine völlig unbekannte Theatergruppe ohne Budget, ohne anfängliche externe Finanzierung und ohne Deutschkenntnisse hat es in nur wenigen Wochen der Vorbereitung geschafft. Während Theaterkritiker und Zeitungen die künstlerischen Qualitäten des Stücks ins Rampenlicht rücken werden, habe ich mich entschlossen, diesen Fall als ein Beispiel für hervorragendes Projektmanagement und insbesondere als eine Studie über den Umgang mit Veränderungen zu präsentieren.
Ohne zu sehr ins Detail und auf die Hintergründe der Teilnehmer einzugehen, möchte ich nur erwähnen, dass es sich bei den Machern des Stücks um Theaterprofis mit jahrzehntelanger Erfahrung handelt, die sehr gut vernetzt und bekannt sind – allerdings nur in ihrer Heimstadt. Nach einem fast einjährigen und alles andere als unkomplizierten Umzug stellte die Truppe fest, dass fast alle Teilnehmer in Berlin gelandet sind, und die Entscheidung war klar, aus dieser Erfahrung etwas Schönes zu machen. Die Veränderung, die sie im letzten Jahr durchmachen mussten, ist eine der extremsten, die man in seinem Leben erleben kann – das Gewebe der alltäglichen Realität wird durch äußere Ereignisse unerbittlich zerrissen. Und jetzt nun muss man nicht nur aus dem aufbauen, was das Leben einem vor die Füße wirft, sondern aus den Scherben des Lebens selbst. Als ich die Produktion aus der Nähe betrachtete, fielen mir mehrere Verhaltensweisen und Herangehensweisen auf, die mich beeindruckten und einen bleibenden Eindruck hinterließen.
In erster Linie war es der Fokus. Das Team konzentrierte sich auf das, was es noch zur Verfügung hatte, und war fest entschlossen, mit dem zu arbeiten, was es noch hatte, anstatt vergeblich zu versuchen, das zu erfassen, was weg war, oder die aktuelle Situation mit der Vergangenheit zu vergleichen. Das bedeutete die Fähigkeit, die Erfahrung und das Wissen schnell zu übertragen – das zu behalten, was funktioniert, und das, was in der neuen Umgebung nicht funktioniert, schnell zu verwerfen. Die Regisseurin konnte extrem klar kommunizieren, was die Truppe brauchte, hat sich nicht gescheut, um Hilfe zu bitten und konnte das Feedback von außen richtig umsetzen. Die Truppe zeigte die bescheidene Fähigkeit, in vielerlei Hinsicht einen Schritt zurückzutreten und äußerst einfallsreich und agil zu werden. Ideen und technische Lösungen wurden in Lichtgeschwindigkeit iteriert und mit minimalen materiellen und seelischen versunkenen Kosten wieder verworfen. Die Vielfalt der Orte (und Zeiten), an denen die Truppe zu den Proben erschien, war sehr groß.
Kurz gesagt, waren die Regisseurin und die Schauspieler bereit, ihre Erwartungen an die anderen herunterzuschrauben, Kompromisse einzugehen und alles zu minimieren – außer der Qualität ihrer Arbeit, ihrem Engagement und ihrer Hingabe. So wurde dieses Projekt zu einem Vier-Personen-Stück mit einem Minimum an Bühnenrequisiten und lässt sich problemlos in zwei Autos packen. Dieser praktische Aspekt bringt uns zum nächsten Punkt: Bauen für die Ewigkeit.
Das Projekt soll auf Tourneen, Festivals usw. mitgenommen und immer wieder aufgeführt werden. Praktisch gesehen bedeutete dies, dass das Team, obwohl nur fünf Tickets eine Woche vor dem großen Premierenabend verkauft wurden, genauso unermüdlich probte, als würde es sich auf eine ausverkaufte Bühne von Covent Garden oder in dem Deutschen Theater vorbereiten. Die Regisseurin und die Schauspieler waren mental bereit, auch vor fast leerem Publikum (wenn es sein musste) ihre beste Leistung zu bieten – und waren angenehm überrascht, dass der Saal so voll war, dass man nicht hätte umfallen können. Mit dieser Einstellung zeigte das Team eine "Probenhaltung" gegenüber Rückschlägen auf dem Weg: Auch wenn diese konkrete Aufführung nicht zum Durchbruch führt, arbeiten wir weiter – bis es schließlich doch geschieht. Letztlich ist diese "Probenhaltung" die nächste Verwandte des bekannten Theatermantras "the show must go on": Man macht weiter und schafft die Realität, egal was passiert. Und natürlich endet dies nicht nur am Bühnenrand, und es ist äußerst inspirierend und ermutigend zu sehen, wie dieser Ansatz auf Situationen des "wirklichen Lebens" angewendet wird. Vor allem, wenn man bedenkt, wie dünn die Schwelle zwischen Theater und wirklichem Leben ist.
Fotograf: Nikolay Sirin