Über Kribbeln in den Füßen und Veränderungsmentalität – und Wie Wir durch die Wüstenüberquerung dazu Kamen

Posted by Verarius
30-03-2023

In der folgenden Artikelserie werden wir die faszinierende Beziehung zwischen Veränderung und Widerstand gegen Veränderung in all ihren Facetten untersuchen. In diesem Eröffnungsbeitrag, „Über Kribbeln in den Füßen und Veränderungsmentalität – und wie wir durch die Wüstenüberquerung dazu kamen“ , werfen wir einen Blick auf die Botschaft, die uns unsere Vorfahren vor Hunderttausenden von Jahren in unserer DNA hinterlassen haben, und entdecken einige verblüffende Ähnlichkeiten zwischen der Bereitschaft, umzuziehen und ein neues IT-System einzuführen.

Ewiger Tango: Veränderung und Widerstand gegen Veränderung I

Über Kribbeln in den Füßen und Veränderungsmentalität – und Wie Wir durch die Wüstenüberquerung dazu Kamen

„Wandel ist gut für dich! Wandel ist genau das, was aus dir einen Menschen gemacht hat, die Krone der Evolution! Ohne Wandel wärst du eine rückgratlose Amöbe geblieben. Und deshalb musst du den Wandel immer freundlich begrüßen, wo auch immer du ihn siehst“. Obgleich ein wenig übertrieben und sicherlich etwas melodramatisch, kommt dir dieses Narrativ sehr wahrscheinlich bekannt vor: Ein organisatorischer Wandel ist im vollen Gange, und du wirst schnell daran erinnert, dich an der Stelle und sofort darüber zu freuen, da jede andere Haltung eine Blasphemie und Lästerung gegen alle möglichen Götter und insbesondere die Evolution selbst wäre. Gleichzeitig wird es kaum unbemerkt bleiben, dass die absolute Mehrheit der Mitarbeiter jeder großen Organisation vorsichtig, wenn nicht gänzlich gegen die bevorstehende Veränderungsinitiative sein wird. Und zwar selbst wenn – oder erst dann – diese Veränderungsinitiative das Unternehmen zu revolutionieren verspricht und als ein Allheilmittel gehypt wird.

Ist der Gedanke „Wandel ist gut“ also falsch? Nein, nicht als solcher – aber es ist eine starke Vereinfachung. In der folgenden Reihe von Blogartikeln geht es nicht darum, die Gültigkeit des „Wandel ist gut“-Gedankens zu bestreiten und schon gar nicht darum, die Evolution in Frage zu stellen. Vielmehr geht es darum, über alle möglichen "W"-Fragen zu sprechen. Warum wird Wandel widerwillig wahrgenommen? (Beachte die gelungene Alliteration!) Woher kommt die ablehnende Haltung gegen Wandel und warum ist solch eine Haltung wertvoll? Warum ist es so wichtig, den im Kontext von Wandel entstehenden negativen Äußerungen, Stimmungen und Gefühlen Zeit und Raum zu geben? Nachdem wir uns mit diesen Fragen auseinandergesetzt haben, werden wir uns genauer ansehen, wie du in deiner Rolle als Change Leader konstruktiv mit diesen Stimmungen und mit dem Widerstand gegen Veränderung umgehen kannst.

Doch lass uns zunächst eine kurze Zeitreise zu unseren Ur-Ur-Ur-Großeltern machen. Wir befinden uns also irgendwo zwischen vor 150.000 und 300.000 Jahren, und die menschliche Spezies hat ihre Flossen schon vor einiger Zeit hinter sich gelassen und beginnt, die Erde zu bevölkern. Stell dir eine Siedlung irgendwo in einemabgeschotteten Sumpfgebiet vor. Das Leben mag vielleicht unangenehm und unkomfortabel sein, aber die Gemeinschaft schafft es irgendwie, sich im wahrsten Sinne des Wortes übers Wasser zu halten. Gleichzeitig gibt es Gerüchte über einen See in einem benachbarten Wald, an dem man sich niederlassen könnte. DasLeben dort wäre nicht nur unbeschwert, sondern auch mückenfrei und man könnte täglich schöne Sonnenuntergänge genießen. Die gute alte "das Gras ist immer grüner"-Geschichte, würden manche sagen.

Die Sache hätte allerdings einen Haken: Um zu diesem Paradies zu gelangen, müsste man die sichere Siedlung hinter sich lassen, ein paar Tage durch einen Wald voller Schlangen laufen und – jetzt kommt’s! – die Wüste durchqueren, wo man eine leichte Beute für alle möglichen wilden Tiere wäre. Da sind wir also bei einer sehr frühen Version der Verlustaversionshypothese, die erst kürzlich vom Nobelpreisträger Daniel Kahnemann zusammen mit Amos Tversky formuliert wurde. Wenn wir vor der Wahl zwischen der Maximierung eines potenziellen Gewinns und der Vermeidung von potenziellem Verlust (oder Schmerz) stehen, neigen wir stark zu Letzterem.

Wenn du dich also gegen diese Expedition entscheidest, kannst du zumindest deinen sumpfigen Status Quo beibehalten. Die Teilnahme an der Expedition könnte dir hingegen möglicherweise dein Leben oder zumindest ein Bein kosten. Im allerbesten Fall läufst du dich wund und kommst mit einem blauen Fleck davon. Das Vernünftigste und Sicherste wäre also, ein reines gar nichts zu tun und genau dort zu bleiben, wo du bist. Wenn das Bleiben in dem besagten Sumpf irgendwie doch eine Option wäre, gäbe es dort letztlich zwei Gruppen: eine, die sich für, und eine, die sich gegen das Projekt "Durchquerung der Wüste" aussprechen würde. Und abstimmen würde man mit den Füßen. Die risikoscheue Gruppe würde bleiben, die risikofreudigewürde sich auf den Weg machen. Und zum Bedauern für die Risikofreudigen wären die Überlebensquoten der beiden Populationen recht unterschiedlich. Während also Neugier, Offenheit und die Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren, zur Entwicklung und Evolution beitrugen, war es genau diese Ablehnung und Abneigung gegenüber Veränderung, die einst so entscheidend fürs Überleben der Menschheit waren.

Nun nehmen wir mal die Netto-Überlebensergebnisse jener frühen Expeditionen, iterieren diese 3000-mal für die Generationen zwischen heute und vor 150.000 Jahren, berücksichtigen das Zinseszinsgesetz – und siehe da, diese Art der „Programmierung und Festverdrahtung“ ist heute viel präsenter und verbreiteter als das „permanente Kribbeln in den Fersen“ und Fernweh. Dies ist mehr als nur ein Gedankenexperiment. Es gibt immer mehr Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die heutige Risikobereitschaft und die Suche nach Neuem in der Tat dadurch erklärt werden können, inwiefern die Neigung, weite Strecken zu reisen, in der DNA verankert ist. Um genau zu sein: "Bestimmte Dopaminrezeptor D4 (DRD4)-Polymorphismen werden mit <...> erhöhtem Erkundungsverhalten, Neuheitssuche und Risikobereitschaft in Verbindung gebracht, die zusammen als neuheitssuchendes Merkmal (NS) bezeichnet werden". Und du ahnst es schon: Die "neuheitssuchende"Genvariation ist viel seltener vertreten und variiert stark von Nation zu Nation. Dies wurde durch verschiedene Studien bestätigt, die bestätigen, dass auch heute noch Menschen (und zwar nicht nur Menschen) eher dazu neigen, den sichereren Weg der Risiko- und Verlustaversion zu wählen. Und genau hier trifft unser Kamingespräch auf das heutige Organisationsleben, in dem die „Status-Quo-Verzerrung“ weitaus stärker ausgeprägt ist, als die „Wandel immer freundlich begrüßen, wo auch immer du ihn siehst“-Haltung.

Denn im Grunde genommen ist dein IT-Infrastruktur- oder SharePoint-Migrationsprojekt dem Bestreben von deinen Ur-Ur-Ur-Großeltern sehr ähnlich, in einen weit entfernten Wald zu ziehen, wo es keine Mücken gibt, die Seen kristallklar sind und jeder Sonnenuntergang von solch unglaublicher Schönheit ist, dass du einen Drang verspürst, eine Fotokamera zu erfinden.

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